Wir schreiben das Jahr 980 nach Christus – zu dieser Zeit war der Orient in vielen Wissen- schaften weit fortgeschritten. Denn der Koran befiehlte seinen Anhängern: „Lies und erwirb Wissen im Namen Gottes, deines Herrn.“ Es war die Blütezeit des Islams, das Goldene Zeitalter, und ein weiterer Wissenschaftler wurde geboren, um Weltgeschichte zu schreiben. Avicenna oder Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā wurde seinerzeit zu einem der wichtigsten muslimischen Mediziner und Universalwissenschaftler der Welt. Zudem war Avicenna ein Philosoph, Mathematiker, Astronom, Alchemist und Physiker. Sein Meisterwerk ist das Buch: Qānūn at-Tibb (Kanon der Medizin). Dieses Buch galt auch in Europa bis ins 17. Jahrhundert hinein als eines der wichtigsten Lehrbücher der Medizin.
Avicenna: Ausbildung in seinen jungen Jahren
Ibn Sina wurde 980 in einem Dorf in Afschana bei Buchara, heute Usbekistan, geboren. Er wuchs als Sohn eines ismailitischen Steuereintreibers in Afschana auf. Später zog Ibn Sina mit seinem Vater, seiner Mutter und seinem Bruder nach Buchara. Sein Vater gewährte ihm hier eine gute Ausbildung. Mit nur zehn Jahren konnte Ibn Sina den gesamten Koran auswendig. Des Weiteren studierte er Philosophie, Mathematik und Jura. In einem Alter von siebzehn Jahren interessierte sich Ibn Sina für die Medizin und lernte die ihr zugrunde liegende Theorie und Praxis – dabei halfen ihm die Werke von Aristoteles und insbesondere die Aufzeichnungen von Al Farabi. Nur ein Jahr später in einem Alter von achtzehn Jahren wurde er Arzt der samamnidischen Herrscherdynastie, und mit 21 Jahren schrieb er sein erstes medizinisches Buch.
Ibn Sinas Wanderjahre wegen Unruhen und Kriegen Wegen
Unruhen, Kriegen und dem ständigen Wechsel der Herrscherdynastien wanderte Ibn Sina von Stadt zur Stadt. Im Jahre 1013 hielt er in der Stadt Gorgan Vorlesungen über Astronomie und Logik. Hier schrieb er auch den ersten Teil seines medizinischen Kanons. 1014 eröffnete Ibn Sina in der Stadt Ray eine medizinische Praxis und verfasste hier weitere kurze Werke. Sein Leben beschreibt Ibn Sina als äußerst anstrengend. Tagsüber war er im Dienst für den Hof, an den Abenden hielt er Vorlesungen und in den Nächten schrieb er seine Bücher und weitere Teile seines Kanons. Seine Freunde rieten Ibn Sina zu etwas weniger Arbeit und zu mehr Ruhe in seinem Leben auf. Er weigerte sich mit folgenden Worten: „Ich habe lieber ein kurzes Leben in Fülle als ein karges langes Leben“. Im Jahre 1037 starb Ibn Sina in Hamadan, heute Iran, an den Folgen seiner Erschöpfung durch seine harte Arbeit und einer schweren Erkrankung. Auf seinem Totenbett ergriff ihn späte Reue – hätte er doch den Rat seiner Freunde befolgt! Seine gesamten Reichtümer stiftete er den Bedürftigen, und seine Sklaven stellte er von ihrem Diensten frei. Der Legende nach wurde sein Tod durch die übermäßige Gabe eines Medikaments seines Schülers beschleunigt. Sein Mausoleum befindet sich heute in Hamadan.
Avicenna,Ibn Sina Aussprache: ibn sinaa türkisch: İbn-i Sina arabisch: ابن سينا persisch: ابن سينا englisch: Avicenna 980 – 1037 n.Chr.
Avicenna: Kanon der Medizin Qānūn at-Tibb
Ibn Sinas Meisterwerk und größtes Vermächtnis an die Menschheit ist sein Qānūn at-Tibb (Kanon der Medizin). Es verbindet und beinhaltet alle römischen, griechischen und muslimischen medizinischen Wissenschaften. Hätte damals die orientalische Welt diese Werke nicht geschützt, wären sie heute für immer verloren. Vielleicht wäre die Medizin heute nicht so weit. Das Werk ist unterteilt in fünf Bücher.
- 1. Allgemeine Prinzipien (Theorie der Medizin)
- 2. Alphabetische Auflistung von Arzneimitteln und ihren Wirkungsweisen (Pharmakologie)
- 3. Krankheiten, die spezielle Organe betreffen, ihre Pathologie und Therapie
- 4. Krankheiten, die sich im ganzen Körper ausbreiten (Chirurgie und Allgemeinkrankheiten)
- 5. Produktion von Heilmitteln bzw. Gegenmitteln (Antidotarium)
Ibn Sina riet den Chirurgen in seinem Buch, beispielsweise den Krebs möglichst in einem frühen Stadium zu bekämpfen und das kranke Gewebe zu entfernen. Weiterhin beschrieb er, dass Tuberkulose ansteckend sei und Krankheiten durch Erde und Wasser übertragen werden können. Der Kanon deutet auf die Wichtigkeit von Diäten und eine gesunde, ausgewogene Ernährung hin. Des Weiteren findet man Informationen zur Anästhesie und zu einer genauen Anatomie des menschlichen Auges sowie Diagnosen zu verschiedenen Augenkrankheiten wie z. B.: Katarakt (grauer Star, Linsentrübung). Außerdem beschreibt Ibn Sina die Symptome von Diabetes mellitus und sexuell übertragbaren Krankheiten. Das menschliche Herz fasst Ibn Sina als Pumpe auf. Im zweiten Teil seines Kanons führt Ibn Sina 760 Arzneimittel mit ihrer pharmakologischen Wirkung und ihrer Indikation, also ihrer Anwendung auf. Ein Novum: Ibn Sina stellte als erster Regeln auf, wie ein Arzneimittel vor dem Einsatz bei Menschen zu prüfen sei. Er bemerkte auch die engen Beziehungen zwischen dem Gemüt, dem körperlichen Zustand und dem positiven Einfluss der Musik auf die Patienten. Für mehr Informationen wird hier auf den ausführlichen Artikel zur „Türkischen Musiktherapie“ verwiesen. In seinem Qanun beschreibt Ibn Sina auch psychische Störungen und die Liebeskrankheit!
Liebeskrankheit: 1013, Stadt Goran. Der Prinz von Gorgan war unglücklich und schwer krank. Er hat keine Kraft mehr, aß nichts, sagte nichts und war bettlägerig. Der Herrscher über Goran versammelte verzweifelt alle Ärzte um seinen Sohn herum. Er wollte all seine Besitztümer jenem geben, der seinen Sohn heilte! Die örtlichen Ärzte wussten keinen Rat und kein Gegenmittel gegen sein Leiden. Ibn Sina jedoch bemerkte ein starkes Flattern im Puls des Prinzen, als er die Adresse und den Namen seiner Geliebten erwähnte. Seine Diagnose lautete: Liebeskrankheit! Sein Gegenmittel: Der kranke Prinz sollte mit seiner Geliebten vereint werden.
Lange Zeit war das Morgenland in Sachen Wissenschaften wie Medizin oder Astronomie dem Abendland überlegen, da die Kirchenoberhäupter jegliche Wissenschaften als Ketzerei auffassten. Erst im 12. Jahrhundert wurde der Kanon ins Lateinische und 1493 ins Hebräische übersetzt. Neben dem Kanon, seinem Meisterwerk, hatte Ibn Sina noch 15 weitere medizinische Werke verfasst. Thematisiert wurden hier Hygiene-Regeln, 25 Zeichen zur Erkennung von Krankheiten und die besondere Beobachtung von Herzpatienten.
TV-Tipp zu diesem Thema:
– Doku: Welt der Wunder Spezial Das Geheimwissen des Islam
– Buch: Der Medicus ist ein historischer Roman in dem Avicenna vorkommt
– Film-Tipp: Der Medicus (Erstaufführung im Kino: 25.Dezember 2013) behandelt den oben aufgeführten Roman.
Quellen:
– Cyril Glassé,Huston Smith, The New Encyclopedia of Islam, Rowman Altamira, 1 Şub 2003, p.200. „Persian father and Turkic mother“
– Ravil Bukharaev, Islam in Russia: The Four Seasons, Palgrave Macmillan, 16 Eyl 2000, p.95
– Theodore Craig Levin, The Hundred Thousand Fools of God: Musical Travels in Central Asia (And Queens, New York), Indiana University Press, 1996, p.40
– wikipedia.org/wiki/Avicenna